Demenz-Theater
aus: Die Glocke, von Oliver Baumjohann
„Es ist wichtig, dass wir lernen, in die Gefühlswelt von Menschen mit Demenz zu sehen“, ist Thomas Borggrefe überzeugt. Der 61-Jährige arbeitet seit mehr als 30 Jahren mit Menschen mit Demenz.
Als Seelsorger ist Borggrefe in einem niederländischen Pflegehaus tätig. Doch nicht nur das: Nach seinem Theologie-Studium hat er viereinhalb Jahre die Schauspielschule im niederländischen Utrecht besucht und bringt das Thema Demenz seitdem auf Bühnen in Belgien, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und Deutschland. Und auch auf die Bühne im Edith-Stein-Kolleg für Altenpflege, wo Borggrefe sein Theaterstück „Dachstube“ gestern vor mehr als 200 Schülern präsentierte.
„Die Schüler bekommen so die Gelegenheit, sich über ein anderes Medium mit dem Thema Demenz auseinanderzusetzen“, freut sich Schulleiterin Monika Lückener über den Besuch von Borggrefe im Fachseminar für Altenpflege. Zu der Aufführung waren auch die Kooperationspartner wie Seniorenheime und Pflegestationen eingeladen.
Das ist ganz im Sinne des Schauspielers. „Das Thema muss in die Öffentlichkeit“, ist Borggrefe überzeugt und präsentiert in „Dachstube“ einen an Demenz erkrankten Dirigenten. „Wer Musik hört, trainiert das Gedächtnis. Das ganze Gehirn wird aktiviert“, lässt Borggrefe seinen Protagonisten ganz zu Beginn des gut einstündigen Stücks sagen, bevor er auf den Dirigentenstuhl steigt, den Taktstock schwingt und das (imaginäre) Orchester anleitet und korrigiert. Und dann? Verliert der Dirigent den Faden, kommt im Gespräch mit seinem Sohn Paul vom Thema ab, schwelgt in Jugenderinnerungen, hat Probleme, das richtige Wort oder ein Ende für Sätze zu finden, die einfach versanden. Alltagsgegenstände verlieren ihre Funktion oder werden scheinbar gestohlen. Schließlich erkennt der Dirigent sogar seinen eigenen Sohn Paul, dessen Rolle Borggrefe ebenfalls übernommen hat, nicht mehr.
Zum Thema hin führt schon die erste Frage, die Paul seinem Vater stellt: „Bewohnst du eigentlich noch alle Zimmer?“ Die Antwort ist doppeldeutig: „Ja. Aber nur in die Dachstube, da komme ich nicht mehr so oft hin.“ Und wenn sich dem Dirigenten auch die „Dachstube“ verschließt, bleiben ihm seine Gefühle erhalten. Er ist ganz bei sich selbst und wird von der Musik getragen, wenn er sein (imaginäres) Orchester dirigiert, er spürt Ergriffenheit, Freude und Glück, aber auch Trauer und Schmerz – erkennbar in den Gesichtszügen am Dirigentenpult.
Nach der eindrucksvollen Vorführung hatten die Schüler des Edith-Stein-Fachseminars für Altenpflege die Gelegenheit, mit Borggrefe ins Gespräch zu kommen und so das Theatererlebnis zu hinterfragen und zu vertiefen.